Bundesverkehrsminister Volker Wissing will die Autobahnen ausbauen und begründet das unter anderem mit einer Prognose. In der Studie “Gleitende Langfrist-Verkehrsprognose 2021-2022”, erstellt durch die Intraplan Consult GmbH und die TTS TRIMODE Transport Solutions GmbH, beauftragt durch das Verkehrsministerium, heißt es:
Der Güterverkehr auf der Straße steigt bis 2051 um 54 Prozent.
Volker Wissing nutzt diese Zahl (auch andere) und bezeichnet sie als “tatsächliche Begebenheit”:
“Ich richte meine Verkehrspolitik an den tatsächlichen Begebenheiten aus, an Zahlen, Daten und Fakten und nicht an politischem Wunschdenken. Die Ergebnisse der neuen Langfrist-Verkehrsprognose machen deutlich: Der Verkehr in Deutschland wird in jeder Hinsicht zunehmen.”
Volker Wissing, Bundesverkehrsminister
Kann das sein? Plus 54 Prozent?
Ich bin kein Verkehrsforscher, aber ich würde trotzdem ein paar Zweifel an der Plausibilität dieser Zahl anmelden – mal davon abgesehen, dass sich die Zukunft immer und generell schwer vorhersagen lässt, eine Prognose vor dem Hintergrund der Folgen der Klimakrise aber noch schwieriger erscheint.
1. Mehr Essen
Auf Seite 22 der Studie heißt es: Bis zum Jahr 2051 bleibt die Gesamtbevölkerung in Deutschland stabil, während die Zahl der Erwerbstätigen “deutlich zurück geht”.
Die Zunahme des Güter-Transportaufkommens wird aber auch damit begründet, dass aufgrund der Bevölkerungszunahme (Seite 25) auch die Produktion von Nahrungs- und Genussmitteln steigen wird.
Was denn nun? Mehr oder gleich viele Menschen in Deutschland? Falls letzteres: Soll die gleiche Anzahl der in Deutschland lebenden Menschen plötzlich deutlich mehr essen?
Womöglich ist es aber anders gemeint: Dass in Deutschland mehr Nahrungs- und Genussmittel für den Export produziert werden – weil die Welt-Gesamtbevölkerung ja steigt. Allerdings gibt es auch hier ein paar Probleme:
- Es ist unsicher, dass in Deutschland überhaupt mehr Nahrungsmittel produziert werden können. Die landwirtschaftliche Fläche ist begrenzt. Und womöglich wird es aufgrund von Dürren und Starkregen sogar schwieriger, Nahrungsmittel zu produzieren.
- Der größte Anteil von Nahrungsmittel-Exporten geht in Länder innerhalb Europas. Allerdings geht Eurostat davon aus, dass die Gesamtbevölkerung in der EU bis 2051 gar nicht zunehmen wird.
- In-Vitro-Fleisch steht in den Startlöchern. Sollten die Erwartungen nicht komplett verfehlt werden, wird der Ressourcenaufwand für die Produktion von Fleisch sinken. Vermutlich werden dann auch weniger Futtermittel für Tiere benötigt – die dann auch nicht transportiert werden müssen.
Es ist mir unerklärlich, wie bei Nahrungs- und Genussmittel sowohl beim Import (stagnierende Bevölkerungszahlen in Deutschland und Europa) als auch beim Export (begrenzte Fläche, Klimafolgen) über einen Zeitraum von 30 Jahren von einer jährlichen Steigerung von mindestens 1,2 Prozent ausgegangen werden kann (Seite 30).
2. Mehr Holz
Auf Seite 25 heißt es: In Zukunft wird mehr Holz transportiert. Ausgeschlossen ist das nicht. Allerdings gibt es auch hier große Unsicherheiten. Deutschland müsste schon massiv Holz importieren, damit ein jährlicher Anstieg von 3,2 Prozent über 30 Jahre möglich ist – was nicht so einfach ist, zumindest, wenn die EU es ernst meint mit ihrer Nachhaltigkeitsstrategie. Sie umfasst ein Importverbot von sowohl Holz aus illegalem Einschlag als auch Produkte, die mit der Abholzung von Wald in Verbindung stehen, zum Beispiel Soja.
Viel mehr Holz als aktuell schon eingeschlagen wird lässt sich dem Wald in Deutschland nicht entnehmen – zumindest nicht, wenn er weiterhin als nachhaltig gelten soll. Mal davon abgesehen, dass der Klimawandel den Stress für die Wälder nicht nur in Deutschland wohl erhöhen wird.
Deutlich mehr Holztransporte auf deutschen Straßen in 30 Jahren? Eine sehr gewagte Prognose.
3. Mehr Fahrzeuge fürs Ausland
Ebenfalls als Grund für einen stärkeren Güterverkehr im Jahr 2051 wird ein steigender Export von Fahrzeugen genannt (Seite 30). Möglich ist das, sicher aber nicht.
Die deutsche Auto-Industrie war in den vergangen Jahrzehnten gut aufgestellt, hat viele Autos in die ganze Welt verkauft. Jetzt zeigt sich: Auch andere Länder können Autos bauen. In China ist der Absatz deutscher Autos eingebrochen.
Wer weiß, wo in 30 Jahren überall (E-)Autos gebaut werden. Hätte es damals jemand für möglich gehalten, dass sich innerhalb von nur 20 Jahren Tesla zum sechstwertvollsten Unternehmen der Welt entwickelt und damit Volkswagen weit hinter sich lässt?
4. Mehr private Fahrten, mehr Urlaub
Zwar hängt das nicht mit dem Güterverkehrsaufkommen zusammen, aber zur Einordnung der Qualität der Prognosen in der Studie “Gleitende Langfrist-Verkehrsprognose” hilft auch ein Blick auf den privaten Personenverkehr. Auch der wird demnach bis 2051 nämlich zunehmen.
Wörtlich heißt es: “Bis 2051 nehmen die Fahrtzwecke Privat, Urlaub, Einkauf und Ausbildung zu.” (Seite 39)
Interessant. Die Studienmacher wissen heute schon, wie viel die in Deutschland lebenden Menschen in 30 Jahren in den Urlaub und zum Einkaufen fahren?
Und sie wissen sogar, dass der Personen-Luftverkehr um 68 Prozent zunehmen wird (Seite 39) – obwohl noch nicht ansatzweise klar ist, dass das mit dem CO2-freien Fliegen wirklich klappen wird, wie teuer Fliegen in Zukunft womöglich sein wird und ob nicht vielleicht eine relevant hohe Zahl von heute noch jungen Menschen in Zukunft vielleicht gar keine Lust mehr hat zu fliegen.
5. Was ist eigentlich mit der Digitalisierung?
In der Studie wird nicht erwähnt, welche Rolle die Digitalisierung und KI-gestützte Verkehrsplanung in Zukunft haben könnte. Zum Beispiel könnten damit in Zukunft die Leerfahrten reduziert werden. Aktuell 22.973,1 Mrd. Lastkilometern stehen 6.776,6 Mrd. Kilometer Leerfahrten gegenüber. Mit anderen Worten: Bei jeder vierten Lkw-Fahrt wird gar nichts transportiert.
Und falls es irgendwann klappen sollte mit dem autonomen Fahren – und auf Autobahnen ist es deutlich einfacher als in der Stadt -, dann könnte das ebenfalls zu einer Entlastung führen. Weil die Lkw vermehrt dann fahren könnten, wenn weniger los ist, zum Beispiel nachts. Das wären am Ende nicht weniger Lkw. Aber weniger Fahrzeuge zur selben Zeit.
Fazit
In der Studie basieren die Prognosen auf so vielen Unsicherheiten – an ihre Aussagekraft muss man schon glauben wollen.
Davon abgesehen könnte Politik ja auch Einfluss auf Entwicklungen nehmen. Aber das ist ein anderes Thema.